Furie, 2008, 230 x145 cm, Acryl auf Baumwolle
Privatsammlung, Foto: W.Günzel

Wirklichkeit - welche Wirklichkeit ?


Die Welt als Wille und virtuelle: Wie viele Wahrheiten gibt es, welcher Wirklichkeit können wir trauen? Wellen der Entwertung des Physischen erfassen uns, spülen uns als Kreaturen an den Strand, die Kulturanthropologen Nahrung geben. Im schwindelerregenden Sog von Pseudo-Realitäten, in der Umklammerung von Manipulatoren - wie früher einmal fingerfertige Zauberkünstler genannt wurden, als die nun jedoch global players gelten dürfen, die in der „Netzwerkökonomie“ mit ihren manipulatorischen Tentakeln, wie sie ein Jeremy Rifkin aufzeigt, unsere Kaufmuster und Lebensstile kontrollieren - , inmitten komplexer Maschinerien der Menschenführung und performativer Strategien wird es zunehmend zum Wagnis, von Authentizität zu sprechen. Es existieren zu viele Parallelwelten, ausufernde Angebote, die Existenz in Online-Rollenspielen zu verfremden, zu verkünstlichen, Selbsttäuschung zu zelebrieren – insbesondere am Bildschirm.
Bodenständigkeit ist ein Begriff, der im Westerngenre seinen Wert behält und jenseits davon in die Makulaturtüte wandert. Bild- und Imageproduktion sind Industrien, die die sensorischen und mentalen Wahrnehmungsebenen vielfältig unterwandern, raum-zeitliche Gewissheiten antasten. Hermeneutische Sonderwege ziehen uns ab von uns selbst.
Identität ist ein zentraler Aspekt im Werk von Maria Bubenik. Deckungsgleichheit bewahren mit sich selbst, aufrecht bleiben und dem eigenen Wertekanon treu wie der Westernheld. Bubenik bedient sich seiner als Metapher für ihre Reflexion über die Möglichkeit von Wahrhaftigkeit.
Wie Richard Prince in seinem Cowboy-Zyklus spielt sie mit der Tatsache, dass sie Bilder verwendet, die das Echte bereits hinter sich gelassen haben. Im Web findet sie ihr Ausgangsmaterial, welchem schon eine Aura anhaftet, die nicht genuin ist. Wie die rephotographs von Prince, dem man bescheinigte, Amerika den Schleier vom Gesicht gezogen zu haben, geht es Bubenik um Enthüllung mittels Abkopplung - auch von konsumatorischen Vorlagen. Das gelingt etwa durch Isolierung von Motiven. Wie Prince fragt sie, was ist wirklich. Paradoxerweise behauptet sie - mit Unschärfen, Verfeinerungen wie Vergröberungen arbeitend -, die Originalität der Autorenschaft durch Recycling von Bildern.
Die Verschränkung der Ebenen, Überlagerung von Wahrnehmungsmustern, Verschiebung und Neuordnung von Beziehungsgeflechten erzielt Bubenik im Medium der Malerei. Indem sie reproduzierte Bilder übersetzt, betreibt sie eine Art Dekonstruktion des Bildschirmbildes. Bildkultur und -produktion verhandelt Bubenik im Rahmen der Googlelisation als moderner Form von Sozialisation.
In ihren Bildräumen herrscht vielfach diffuses Licht, doch selbst Verschwommenes ist präzise benennbar: Kind, Kuss, Kopf. Die Strandbilder sind moderne Historienbilder, die dem Kontext entzogenen Reiter - Cowboys, rekrutiert aus Spaghetti Western -, eine reinere Version ihrer selbst wie sie etwa Image-editing software erlaubt, wo aus Fotos einfach eliminiert wird, was die Betrachtung stört.
Das ist die Realität: Der gefakte und gläserne Mensch. Durch Online-Überwachung und ein Arsenal von Tools, mit denen unsere Daten und Usancen zum Nutzen Dritter durchforstet werden, werfen wir längst Schatten länger als Charles Bronson und hinterlassen Spuren - tiefer als die der Viehherde in Howard Hawks' Red River. Das komische daran ist, dass unsere Requisitenhaftigkeit kaum jemand befremdlich findet: Steht aber das soziokulturelle Phänomen fortschreitender Unterwürfigkeit unter die Enter-Escape-Patterns nicht als Herausforderung im Raum wie die unendlichen Weiten, fernen Horizonte im Cowboy-Film?
Sie gibt Cowboys, Kindern, Küssenden ihre Würde zurück: Bubeniks Malerei erreicht uns wie eine Erscheinung und trifft ins Schwarze wie ein Indianerpfeil.


2008, Text für den Katalog out of focus