Schlaflos
30 x 24 cm
Acryl, Öl auf Karton und Baumwolle

In search of V. ?
oder
Über die Unbestimmtheit des kreativen Aktes in der Malerei
Maria Bubeniks

 Über Spiele lässt's sich trefflich streiten – warum eigentlich? Vielleicht liegt es an dem merkwürdigen Doppelcharakter dessen, was jede und jeder unter Spiel zu verstehen scheint. Da ist zum einen das Spielerische, die Emulation einer Wirklichkeit, die eben nur das ist, was sie eben nicht ist: Sie ist nicht echt, nicht so gnadenlos authentisch, weil sie eben das Andere ist, das Spiel, nur ein Spiel - puh. Und jetzt und zum anderen ist es aber dann doch da, nervig für diejenige und denjenigen, der es nicht beherrscht, die oder der mit dem Kontrollverlust zu kämpfen hat, da das Verlieren vielleicht immer am Ende steht. Oder es zeigt sich in seiner Emulation immer als eine Simulation, die dem Original – wir sprechen hier von möglichen nicht von wirklichen Welten – so nahe kommt, dass sie von dieser nicht mehr unterschieden werden kann. Und plötzlich hat man es mit einer Vervielfältigung dessen zu tun, was jetzt – ob nun echt oder emuliert/simuliert – wirklich ist, und nicht nur die Komplexität reißt eine/einen in einen Strudel von Herausforderungen und Überforderungen, vielmehr und darüber hinaus sind die scharfen Kanten dessen, was man jetzt gar nicht mehr als Spiel bezeichnen möchte, da man weder gegen Verletzungen noch gegen die Notwendigkeit gefeit ist, sich jetzt in diese gänzlich neuen Strukturen denken zu müssen, um mit diesen umgehen zu können, präsent. Spiel ist gar nicht mehr Spiel, ist echt. Schlimmer: Es ist eine Wirklichkeit, die nach anderen Gesetzen funktioniert, wie diejenige, mit der man sich manchmal mehr schlecht als recht herumzuschlagen eine gewisse Erfahrung sammeln konnte.

Und so macht man sich dann auf die Suche, auf den Weg, einen Modus vivendi mit diesen neuen Bedingtheiten zu finden. Aber wie geht man das an? Es gibt keine Isomorphien, keine Vergleichsmomente mehr, von Äquivalenzrelationen keine Spur. Und selbst wenn man einen Anfang findet, wie geht es weiter? Man kennt die Beschreibungen der Ängste vor dem weißen Blatt bei den SchreiberInnen, der Horror vor der weißen Leinwand, aber das alles ist nichts im Vergleich mit der Frage, wie es denn dann weitergeht, sobald erst einmal ein Anfang gefunden ist. Extrapolation, ich nehme die Grammatik des ersten Pinselstrichs auf, des ersten Wortes, und dann folgt schon alles Weitere. Grammatik? Grammatik eines Pinselstrichs? Wie kann ein nicht im Kontext eines Satzes stehendes Wort eine Grammatik aufweisen? Wie ein Farbauftrag, der nichts anderes ist als eben ein Farbauftrag, zu einem Bild führen, wenn er doch keinerlei Kontext liefert?

Und das diese Frage bei entsprechender Skalierung auch nicht einfacher zu beantworten ist, wenn ich mich eines Moduls bediene, eines Objet trouvé, eines Samples, dürfte spätestens dann klar werden, wenn man sich den Ausschnitt vom Wort zum Buchstaben vergrößert, vom Farbauftrag zum Pigment – er bleibt kontextlos. Ein Wort hat nach Gottlob Frege nur im Satzzusammenhang Bedeutung, bei Ludwig Wittgenstein nur im gesamten kulturellen Zusammenhang. Es ist also nur ein unübersehbares Geflecht von Bezügen, die einem Sachverhalt Bedeutung verleiht, jeder Zugriff bleibt zunächst in diesem Geflecht verhangen. Umgekehrt jedoch ist eine bewusst kontextlose Isolierung mit dem unweigerlichen Verlust der Bedeutung verbunden. Es spielt also keine Rolle, ob ich mich eines Pinselstrichs oder einer Figur bediene, wenn ich mich im Spiel befinde – alles bleibt zunächst und bis zu deren Neueinbettung in einen Kontext unbestimmt.

Wer ist V.?

Da tritt uns also eine Figur entgegen, die wir vielleicht zunächst zeitlich einordnen möchten: irgendetwas zwischen Barock und Biedermeier. Aber egal ob wir mit unserer Einschätzung richtig liegen, es spielt keine Rolle, besser es spielt eine Rolle. Und die Rolle die die Figur spielt ist eine in einer Emulation. Sie tritt uns sogar mehrmals in Erscheinung, aber wenn der Titel uns diese Information nicht nahe bringt, dann ist auch dies nur wieder Spiel. Hier wird eben nicht die Wirklichkeit emuliert, sondern eine – sei sie moralisch, ästhetisch, an oder für sich. Und so ist der Frage nach V. vielleicht besser mit der Frage Wann ist V.?, beziehungsweise Wann ist V. nicht mehr? nahe zu kommen. V. endet genau dann – von BeobachterInnenseite genauso wie von ProduzentInnenseite – wenn die Emulation, wenn das Spiel endet. Aber die Sache mit dem Spiel, dem Enden, dem Unverletzt-Bleiben und der Freude an dem Spiel ist so eine Sache ...

2015, Text für den Katalog Maria aus dem Ärmel


TaD1, 2008
180 x 130 cm
Acryl auf Baumwolle
Foto: Wolfgang Günzel

Danebengesang
Vier Einflüsterungen zur Kunst Maria Bubeniks

Out of focus

Beginnen wir so: Im Woody Allen Film „Deconstructing Harry“ spielt Robin Williams einen Schauspieler, der „out of focus“ ist, er tritt „unscharf“ auf. Als einer Therapie empfiehlt der behandelnde Arzt nicht dem vermeintlichen Patienten, sondern dessen gesamter Familie eine Brille. Nun, um die Arbeiten Maria Bubeniks zu betrachten, braucht man keine Brille, es sei denn, man braucht eine Brille. Und doch treten die auf den Bildern zu sehenden Figuren und Gegenstände einem merkwürdig „unscharf“ entgegen, sie sind „out of focus“. Das Unscharfe, dieses Verrücken der Linse, entwirft ein Bild, das einen Verlust darstellt: Details gehen verloren, die eigene Standortbestimmung wird diffus, bin ich an der richtigen Stelle zum richtigen Zeitpunkt und so weiter. Die eigene Position wird also unsicher, unscharf. Sagen wir, das Bild bereitet uns auf sich selbst vor. Wie in der erwähnten Filmszene ist es nicht mehr klar, an welcher Stelle die Unschärfe auftritt: Fokussiert man das Bild, verschwimmt die Umgebung und umgekehrt. So weit, so schön, warum aber diesen Umstand der Schwebe?

Es ist in der klassischen europäischen Philosophie- und Kulturgeschichte immer der Punkt gewesen, dem alle Aufmerksamkeit galt: Bin ich in der Lage, eine Situation in Worte zu fassen, eine Definition für eine Sachlage zu finden, den Stier bei den Hörnern zu packen. Spätestens mit Beginn des 20. Jahrhunderts (oder doch vielleicht schon mit Nietzsche?) beginnt der „starre Blick“ sich auf mannigfaltige Weise erst zu lösen, dann zu emanzipieren und schließlich auch auf dessen Umgebung zu kaprizieren. Die Unschärfe in den Bildern Bubeniks zwingt uns „daneben“ zu schauen. Was immer darauf dargestellt sein mag – ich komme darauf weiter unten zu sprechen – es tritt uns nicht in einer Weise entgegen, wie wir es gewohnt sind. Im Augenblick, da es uns als Begriff begegnet, ein Flugzeug, ein Mensch oder ein Pferd, behauptet es von sich selbst, dass es das alles nicht ist, eben ein Flugzeug, ein Mensch oder ein Pferd, jedenfalls nicht in der gewohnten Weise. Die Begriffe sind sprechend: So klar ich dir begegne, so unklar ist unsere Begegnung.

II

Rhythmische Erinnerungen

Jeder kennt den Moment, da man vor einem Muster steht, sagen wir zu nah steht - ein Drahtzaun vielleicht, eine Fliesenanordnung, die Struktur der Tapete -, das Muster beginnt zu verschwimmen, die rhythmische Struktur der Musterung weicht aufgrund der optischen Nähe einer bewegten Rhythmik des Strukturlosen. Nein, es geht hier nicht um optische Tricks, die Bilder Bubeniks lassen keinen Zweifel aufkommen: Sie bleiben nicht in den Fängen irgendeiner Technik hängen. Sie sind, was sie sind: Bilder – nicht mehr, aber schon gar nicht weniger. Sie bilden ab. Aber was? Flugzeuge? Menschen? Pferde? Die auf den Bildern dargestellten menschlichen und tierischen Figuren und die Gegenstände treten nicht mehr als Repräsentanten einer Welt auf, die in sich geschlossen eben darstellbar sind, vielmehr vertreten sie ihre eigenen „Interessen“, sind Repräsentanten ihrer selbst. Nennenswert in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Bubenik die Bilder zu deren Entstehung von Fotos aus begreift, also von Bildern, nicht von ihren Gegenständen her. Aber auch hier gilt: Bubenik verfällt nicht dem Gestus der Technik, es geht nicht um die Doppel-, Dreifach- oder noch höhere Grad von Spiegelungen; es geht um Bilder: das, was sich uns zeigt. Wenn sich also das gezeigte Moment aus seiner Verankerung reißt – Noch mal: Da auf den Bildern keine Gegenstände und Gesten, so wie wir sie kennen, dargestellt werden, wird hier auch keine Bewegung dargestellt - das Flugzeug fliegt nicht, die Menschen gestikulieren nicht, und auch das Pferd bäumt sich nicht auf. -, so fängt auch das Sehen an zu flimmern. Wir erinnern uns an die zu sehenden Bilder, die Bilder der Gegenstände, und doch will das Bild nur auf sich selbst zurückgeworfen werden - wenn man so will: eine Schule des Sehens.

III

Undeutbar entlang der Grenzen

Was sind das für Wesen, von denen die Bilder zeugen? Ja, sie zeigen ihre eigene Abbildungswelt, aber der Gesang hebt wieder an und sichtbar wird ein Umfeld. Nehmen wir an, dies wären wirklich Tiere und Menschen, welche Geschichte tragen sie mit sich herum, woher kommen sie, wessen Momente werden hier besungen? Nein, es sind nicht die Geschichten, die man von ihnen erwarten könnte, „Strandbild 1“, einige Kinder bewegen sich entlang eines Strandes? Spielend? „Die Furie“ wirbelt Sand auf, furios? Die „Reiter 22“ und „Reiter 46“ kommen woher und bewegen sich wohin? Die Kinderportraits und Köpfe entbehren fast vollständig eines Kontextes. Wer sind diese Wesen, die so undeutbar in eine leere Welt gestellt sind? Geht es ihnen gut, haben sie gute Momente? Oder ist alles ganz furchtbar, die Zeichen stehen auf Sturm, die Kommentierung einer schlimmen Welt? Der Gesang bleibt auf der Kante hängen: Niemand bewegt sich irgendwie und alle tragen nicht die Melodien der Repräsentanz auf den Lippen, die eine Geschichte im Sinne einer Umgebung erzählen könnte. Vielmehr stimmt hier jeder seinen eigenen Gesang an, schau her, ich zeige mich dir, sagt die Malerei, ich bin Oberfläche, reine Oberfläche. Die Umgebung kann hierbei keine Rolle spielen. Wer sollte sich dem Gesang anschließen? Vielleicht aber der Ast, das Blätterwerk, das sich über das Flugzeug legt, oder der Wald, der der Kampfkünstlerin den Rücken stärkt – doch auch hier werden Konturen der Abgrenzung zum integralen Bestandteil des Gegenstandes. Erneut steht also durch die verschwommene Abgrenzung einer Situation im Mittelpunkt, die irritiert, die den Gegenstand der Kunst Bubeniks zum eigentlichen Thema macht: das Sehen.

IV

Danebengesang

Denken wir uns eine Welt, die in der Schwebe ihre Konturen bestärkt: abstrakt, gegenständlich – die scharfe Kante am Rande, tauchen wir ein in die Welt Bubenik’scher Kunst – ist das ästhetisch losgelöst, ästhetisierend? Apolitisch? Nun, Kommentare zur Weltpolitik werden uns hier nicht begegnen, den Imperativ des „Du sollst!“ sucht man hier vergeblich. Es handelt sich sicherlich nicht um eine Randbegehung weltlicher Peripherie, aber ästhetisch isoliert finden sich die Figuren ebenso wenig in der Welt. Nicht der ehemalige inhaltliche Kontext ist es, der sich auf diese Weise politisches Gewicht verschafft – eine „lesbare“ Übersetzung von der einen in die andere Welt, wie sollte der aussehen? Nein, wenn der Gesang anhebt, die Farben flirren, und die Bilder ihre Bodenhaftung verlieren, dann sieht man sich mit einer Situation konfrontiert, die ganz kurz die Welt beleuchtet, unsere Welt, blitzlichtartig. Man kneift in diesen Momenten die Augen ein klein wenig zusammen, und versucht der Musik hinterher zu lauschen, die ganz knapp an einem vorbeifliegt, haarscharf, völlig unscharf, als sei die Frequenz nicht richtig getroffen. Erst in diesen Momenten, da man weniger als einen Begriff hat, eine Ahnung, sieht man die Äquivalenz zwischen dieser Welt des Bildes und jener, aus der es ursprünglich mal kam, und dann auch hört man die leisen Kommentare, die über die Oberflächen der Bilder geflüstert sind.

2008, Text für den Katalog out of focus